Montag, 14. Dezember 2009

Olga Herschel: Erinnerungen an Aby Warburg

Olga Herschel: Erinnerungen an Professor Aby Warburg. In: Hamburger Universitäts-Zeitung 11 (1929) Nr. 7, 10. Dezember 1929, S. 154–156

"Es ist nicht nötig", sagte Professor Warburg einmal in einem Gespräch, "daß Kinder bei Lebzeiten immer mit ihrem Vater einverstanden sind; die Hauptsache ist, daß sie eine schöne Erinnerung an ihn haben. Und ich bin wie geschaffen für eine schöne Erinnerung." Und wenn auch nicht im Einzelnen die Richtigkeit und die Berechtigung dieses Ausspruchs geprüft werden soll, so ist doch eins darin unbedingt wahr, daß die Erinnerungen an den Mann, der diesen so stark resignierenden Satz ausgesprochen hat, schön sind, daß dasjenige, was die Menschen, die das Glück hatten, mit ihm in Berührung zu kommen, aus dem Verkehr mit ihm erinnern, vielleicht charakteristischer ist für die Persönlichkeit als dasjenige, was aus den sichtbaren Denkmälern seines Geistes auf die Nachwelt kommt.

Das war nämlich das Wunderbare an dem Menschen Warburg, daß er trotz der Universalität seines Geistes, trotz seines Denkens, das unbedingt Zentrum seiner ganzen Persönlichkeit war, trotzdem im Verkehr von Mensch zu Mensch immer Mensch blieb, daß er im Tone des ganz gewöhnlichen Verkehrs die wissenschaftlichen Dinge sagte, die fesselten durch den Inhalt, der dadurch so prägnant hervortrat, daß die Form so völlig zwanglos war.

Wie war aber auch seine Art des Zuhörens, wie konnte er auch bei dem ganz jungen Menschen eine vielleicht ganz abwegige Meinung anhören, ohne Stellung dazu zu nehmen, ganz interessiert an die Denkfunktion des anderen hingegeben, ganz Respekt für ein anderes denkendes Individuum.

Die stärkste der schönen Erinnerungen, die ich an ihn habe, eine kleine Szene in der – wie es früher hieß – Hamburger Stadtbibliothek, in der Warburg ein ständiger Besucher war und in der er sich hin und wieder mit der gleichfalls dort arbeitenden Studentin unterhielt. Während des großen Krieges. Irgendwie schwebten Verhandlungen in der Luft. "Wenn wir jetzt jemanden hätten, der einen Frieden von Nikolsburg schließen könnte", meinte Warburg, worauf ich ihm mit der Überzeugtheit des – sagen wir – fünften Semesters entgegnete, "ich halte den Nikolsburger Frieden nicht für die große Tat Bismarcks." – Würde es nun in ganz Deutschland einen Gelehrten geben, der nicht einem fünften Semester aus der Fülle seiner Erfahrung bedeuten würde, daß es gründlich auf dem Abwege wäre? – Warburg aber nahm mich auf den Korridor, damit wir durch unser Gespräch die anderen nicht störten und ließ sich ganz eingehend von mir meine Stellungnahme erläutern, hörte interessiert zu und widersprach nicht, was vielleicht die unbeabsichtigte Nebenwirkung hatte, daß ich noch heute an meiner damaligen Ansicht festhalte.

Wie schön war es, wenn nach den Vorträgen in seiner Bibliothek Warburg selbst das Wort nahm, wenn er dasjenige, was der Vortragende gesagt hatte, ergänzte, wenn er der Sache erst wirkliches Leben gab, wenn er eine Idee bis ins letzte verfolgte, wenn er mit einmal überrascht nachwies, daß eine religiös-philosophische Anschauung der Antike noch heute in dem Kinderbuch dem Struwelpeter lebendig sei.

Doch nicht nur die Antike verfolgte er bis in unsere Zeit mit ihren Äußerungen, auch von den Äußerungen unserer Zeit kam er in seiner Universalität zur Antike. Auf einigen Jahrgängen der Briefmarken von Barbados befindet sich Neptun auf einem antiken Wagen und im Himmel darüber die Inschrift: "Et Penitus Toto Regnantes Orbe Britannos." Wie wir schon in der Schule gelernt haben, daß man den Danaern mißtrauen müsse, wenn sie Geschenke bieten, so mißtraute Warburg offenbar den Engländern, wenn sie lateinisch sprechen, ja wenn schon in der Zeit der Latinität die Weltherrschaft der Briten vorgeahnt sein sollte. Er setzte sich mit allen ihm in Betracht kommenden Erscheinenden in Verbindung mit dem Erfolg, daß er feststellen konnte, daß diese Inschrift ein abgeändertes Zitat aus Virgil war, das – ich glaube durch eine Münze – in England bekant wurde und dort zweckentsprechend britannisiert wurde. Von dieser Briefmarke aus unserer Zeit kam aber Warburg nicht nur zur Antike, sondern auch zu dem Prinzip Briefmarke in ihrer künstlerischen Auswertung. In der gleichen Tasche, in der er jene Marke von Barbados hatte, als er sie mir auf der Straße zeigte und von seiner erfolgreichen Aufspürung erzählte, trug er auch jenen deutschen Briefmarkensatz mit den Bildern von Friedrich dem Großen, Beethoven, Goethe usw., dabei einige englische Marken, an denen er demonstrierte, wie richtig die Engländer auf ihren Marken einen Kopf im Verhältnis zum Hintergrund behandelt hätten, und wie falsch dies auf den deutschen Marken gehandhabt worden sei.

Bei der Universalität Warburgs versteht es sich eigentlich von selbst, daß er für die Erziehung zum disziplinierten Denken bei der Jugend eintrat. Weder für die milde gehandhabte "edukationslose Erziehung", wie er es ausdrückte, war er zu haben, noch für die naturwissenschaftliche Begeisterung unserer Zeit. Geisteswissenschaft war ihm Wissenschaft schlechthin, und als einmal ein von ihm als Freund hochgeschätzter Mediziner in einem wesentlichen Punkte anderer Meinung war als er, meinte er, als er von dieser Differenz sprach, gutmütig: "Gott, er ist schließlich nur Naturwissenschaftler", so ungefähr wie Ibsen einmal vom Dichter sagt: "weil in diesem Wort eine Entschuldigung liegt, eine Absolution, die einen Mantel über alle Schwäche und Unvollkommenheit breitet."

Meine letzte lebendige Erinnerung an ihn: Helgoland. Auf dem Unterland vor dem Denkmal Hoffmanns von Fallersleben traf ich ihn gänzlich unerwartet. Damals hatte Cassirer einen Ruf nach Frankfurt a. M. bekommen und Warburg hatte sich dafür eingesetzt, daß dieser Gelehrte Hamburg erhalten bleiben müsse. Eine Entscheidung war noch nicht gefallen, doch Warburg bewegte die Frage so, daß er sofort an diesem der Wissenschaft etwas entlegenen Ort davon anfing und darlegte, wie wichtig es für die junge Universität, wie wichtig es auch für die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg wäre, daß Cassirer in Hamburg bliebe. Und von der Persönlichkeit des Gelehrten zu den Persönlichkeiten der Pioniere der Luft. Ich stand ganz unter dem Erlebnis der Persönlichkeit Hünefelds, Warburg war mehr für Eckener und das weniger gefahrvolle Luftschiff.

Selbst in seiner Krankheit überragte dieser Mensch, den man so lieben mußte, uns alle Gesunden, dieser Mensch, der von sich sagte, daß er geschaffen sei für eine schöne Erinnerung, die ihm alle bewahren werden, die ihn kannten.

Samstag, 5. Dezember 2009

G. A. E. Bogeng über Bibliophilie

"Daß Philobiblos und nicht Bibliophilos die richtige Wortbildung ist, wußten noch die Humanisten. Richard de Bury nannte sein Werk ein Philobiblon. Wann und wo die Bezeichnung der Bibliophilie sich einbürgerte, wäre genauer zu untersuchen. Da sie jedoch die jetzt allgemein übliche ist, ist sie auch in diesem Werke überall angewendet worden."

G. A. E. Bogeng: Die großen Bibliophilen. Geschichte der Büchersammler und ihrer Sammlungen. Leipzig: E. A. Seemann, 1922. Bd. 3, S. 2

Ein hervorragendes 75-seitiges Personenregister zu Bogengs Hauptwerk, das vor allem auch den Anmerkungsband erschließt, hat Johannes Saltzwedel, Hamburg, vor einigen Jahren erarbeitet: http://www.venturus.de

Freitag, 4. Dezember 2009

Michael Studemund-Halévy: Bibliographie zur Geschichte der Juden in Hamburg

Ergänzungen und Korrekturen (innerhalb des Erfassungszeitraums) zu:

Michael Studemund-Halévy: Bibliographie zur Geschichte der Juden in Hamburg (Bibliographien zur deutsch-jüdischen Geschichte 5). München/New Providence/ London/Paris 1994

Nobel, Nehemiah Anton: Moritz Warburg. Trauerrede, gehalten an seiner Bahre. In: Die jüdische Presse [Berlin], 41, 1910, Nr. 6, 3. Februar 1910, S. 53–55. S. 58 Bericht über die Trauerfeier.

Ruben, Moritz: Stammtafeln der Hamburger Familie Renner-Ruben (ca. 1650–1913). Stockholm [Privatdruck] 1913.

[M.]: [Nachruf auf David Ruben]. In: Die jüdische Presse [Berlin] 35, 1904, Nr. 14–15, 30. März 1904, S. 149 f. Rubrik "Correspondenzen".

Liebeschütz, Hans: Hermann Philipp und die Franz Rosenzweig-Gedächtnisstiftung in Hamburg. In: MB. Wochenzeitung des Irgun Olej Merkas Europa, Jg. 34, Nr. 36/37, 9. September 1966, S. 14.

Liebeschütz, Hans: The Warburg Banking House. A Record of its History. In: Association of Jewish Refugees in Great Britain – Information, June 1977, S. 6.

[anonym]: Obituary Aby S. Warburg. In: The New York Times, 31. Dezember 1933, S. 20 (Kolumne 1). Vgl. Korrektur zu Nr. 2814.

Maretzki, Louis: Nachruf auf Gustav Tuch (1834–1909). In: ders.: Reden und Abhandlungen über den Orden. Herausgegeben von der Großloge für Deutschland VIII U. O. B. B. Berlin ohne Jahr (1913), S. 111–115.

Frankenfeld, Alfred: Max Warburg. Ein Porträt persönlicher Erinnerung. In: Neues Hamburg XI, 1956, S. 27–33 und 99.

Baeck, Leo: Nachruf auf Felix Warburg. In: Der Morgen 13, 1937/38, Nr. 9, S. 368–371. Über den Hamburger und Frankfurter Familienhintergrund.

Hertz, Hans Wilhelm [1903–1993]: Wilhelm Ludwig Hertz, ein Sohn des Dichters Adalbert von Chamisso. Ein genealogischer Beitrag. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 10, 1970, Sp. 269–308. Auch über die Hamburger Familie Hertz.

Wenzel, Georg [Bearbeiter]: Deutscher Wirtschaftsführer. Lebensgänge deutscher Wirtschaftspersönlichkeiten. Ein Nachschlagebuch über 13000 Wirtschaftspersönlichkeiten unserer Zeit. Hamburg/Berlin/Leipzig (Hanseatische Verlagsanstalt) 1929. Einträge unter anderem über Carl Joseph Melchior (Sp. 1461), Walter S. Robinow (Sp. 1836), Max Robinsohn (Sp. 1837), Aby S. Warburg (Sp. 2390), Fritz M. Warburg (Sp. 2390) und Max M. Warburg (Sp. 2390 f.).

Hertz, Heinrich: Erinnerungen, Briefe, Tagebücher. Zusammengestellt von Johanna Hertz. Leipzig (Akademische Verlagsgesellschaft) 1927; Neuausgabe 1977. Vgl. Nr. 1131-1133.

Handbuch der Wohlthätigkeit in Hamburg. Herausgegeben vom Armen-Kollegium und in dessen Auftrage bearbeitet von Dr. Hermann Joachim. Hamburg (In Kommission bei Lucas Gräfe.) 1901; 2. Aufl. ebenda 1909. Informationen über jüdische Stiftungen, Hilfsvereine, Legate etc.

Nr. 306 (vgl. Nr. 1251): Joachim Wolters: Alphabetisches Verzeichnis zu ... Hamburg, Resedenweg 28 (maschinenschriftlich, hektographiert) ohne Jahr [1983], 67 S. Exemplar unter anderem in der Deutschem Bibliothek, Frankfurt am Main.

Nr. 1160: unter demselben Titel gibt es auch eine deutschsprachige Ausgabe (Jerusalem ohne Jahr [Massada], 88 S.); Vorwort von Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl (S. 7–9).

Nr. 1169: 1928/29 als Manuskript zusammengestellt; der Hamburger Familienforscher Otto Hintze fehlt im Verfasserregister. Neubearbeitung: 300 Seiten, maschinenschriftlich.

Nr. 1173: Supplement Hamburg 1953; 13 genealogische Tafeln.

Nr. 1191: Aufsatz nicht von Jacobson > 1174: Rosenbaum, Eduard: M. M. Warburg & Co. Merchant Bankers of Hamburg. In: LBIYB 7, 1962, S. 121-149.

Nr. 1191: Jacobson, J.: Letter on Max M. Warburg. In: LBIYB 8, 1963, S. 266 f. Berichtet von einem vereitelten Attentat auf den Bankier Max M. Warburg im Sommer 1922; bezieht sich auf Rosenbaums Beitrag in LBIYB 7, 1962.

Nr. 1386 = Nr. 2490 (doppelter Eintrag).

Nr. 2766: falsche Seitenzahlen angegeben > S. 521–523.

Nr. 2780: Settis > das Buch ist nicht erschienen.

Nr. 2814 > bezieht sich auf den Tod von Aby S. Warburg (3. August 1864; 30. Dezember 1933), Mitinhaber der Warburg-Bank; vgl. Nr. 1155. Carl J. Melchior starb am selben Tag wie Aby S. Warburg.

Nr. 2883 > verfaßt von Paul Wilken; der Artikel erschien am 12. Juni 1926. Warburg hatte am 13. Juni Geburtstag.

Nr. 3038: ... In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 27, 1979, Heft 1, S. 109–124.


S. 196: Panofsky, Erwin [Überschrift, Vorname]


Register (fehlende bzw. falsche Verweise auf Einträge in der Bibliografie)

S. 231: Ascher, Felix > Nr. 1597–1598

S. 236: Hintze, Otto > Nr. 1169

S. 249: Heckscher, William S. > richtig Nr. 2731; Heilbuth, Ferdinand > Nr. 2727

S. 251: Nathan, Samson Philipp > richtig 1331–1332, 1924–1925 [es handelt sich jeweils um dieselben Beiträge]

S. 253: Tuch, Theodor > richtig Nr. 524